Noch ein paar Anmerkungen
Hi,
zunächst zum Threadersteller: Ralf, du Kleiner mit der Dünnen hast mir im Taunus und anderswo immer wie ein Schatten im Nacken gesessen. Dich auch nur ansatzweise loszuwerden, selbst auf einer Maschine mit mehr als doppeltem Hubraum und dreifacher Leistung, ist schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Daher kann ich mir lebhaft vorstellen, wie du am letzten Wochenende deine Gruppe durch die Kurven gejagt hast. *lächel*
Unabhängig davon schätze ich dich als sehr verträglichen, reflektierten und disziplinierten Menschen, und die freiwillige Übernahme des Tourguide-Amtes für weitgehend Fremde ohne irgendwelche Gegenleistungen beweist deine Uneigennützigkeit. Deine Nachfrage hier zeigt schließlich, dass dir die Qualität deiner Leistung für die Gruppe selbst im Nachhinein ein wichtiges Anliegen ist.
Es steht auch mir als Ausbilder nicht zu, dich oder deine Motive zu bewerten. Sonst hätte ich jetzt sowas formuliert wie „beispielhaftes Engagement, Eigeninitiative auch auf der Metaebene, zielgruppengerechte Ansprache, emotionale Intelligenz, strukturiertes und erfolgsorientiertes Vorgehen, um Ausgleich bemüht zwischen Gruppenregeln und tiefmenschlicher Toleranz, enorme sittliche Reife, geistig und charakterlich ein Riese, freundlich und ambitioniert nun auch in der Analyse, um lernbereit sich nochmals weiter zu entwickeln – kurz: Ein Vorbild für uns alle, das die enormen Anforderungen freiwillig und immer gut gelaunt stets aufs Höchste erfüllt …“ Äh, *räusper*, oder so.
Inhaltlich sind wir jedenfalls auf einer Wellenlänge: Auch ich fahre besonders in den Kurven gerne flott und bringe mich seit Jahrzehnten immer wieder gern als Tourguide ein. Dabei bin ich ebenfalls der Meinung, dass in Gruppen kurventechnisch eher verhaltene Fahrer am Schluss fahren sollten. Nach jedem Kurvengeschlängel kommen auch wieder gerade, fahrerisch weniger anspruchsvolle Strecken, auf denen ich dann bei Abreissen der Gruppe deutlich unterhalb des Möglichen und Erlaubten vorfahre, damit die hinteren stressfrei aufschließen können.
Das sollten sie dann allerdings auch stets im Rahmen ihrer Möglichkeiten tun, da irgendwann die nächsten Kurven folgen. So kann idealerweise jeder „sein Tempo“ fahren und sollte sich dabei weder von vorne noch von hinten zu etwas anderem verleiten lassen. Ansonsten sind natürlich die altbekannten Regeln für Gruppenfahrten zu beachten und vom Tourguide auch wirksam nachzuhalten. Da vertrete ich eine ähnliche Auffassung wie Manfred hier vor mir.
Essentiell für die Gruppendynamik ist in der Tat die Kommunikation. Schön wäre es, wenn der oder die Tourguides sich zu Beginn mal vorstellen. Der oder die Gesamtorganisatoren könnten vor dem allgemeinen Aufbruch auch Hinweise zu deren Kompetenzen sowie den Gruppenregeln geben.
Wenn das empfehlenswerte Kennenlernen der Gruppe untereinander nicht schon vor einer Tour zustande kommt, halte auch ich als Tourguide (wie Manfred) bei größeren Ausflügen gern nach den ersten 15 oder 20 Minuten an, idealerweise an einem ruhigen Ort, und winke alle zu mir. Eine nochmalige herzliche Begrüßung der helmlosen Runde zur gemeinsamen Tour und ein kurzer Abgleich, wie sich nach den ersten Kilometern jeder fühlt, ob Tempo und Reihenfolge in Ordnung sind oder welche Änderungen gewünscht werden, bieten Orientierung. Mancher hat sich falsch angezogen und ist für diesen Stopp schon deshalb dankbar.
Eventuell unbekannte Regeln können hier auch nochmal schnell repetiert, letzte Fragen beantwortet werden. Ansagen wie ein augenzwinkernd-kerniges „Es heißt: Jawoll, mein Tourguide!“ können Stimmung schaffen und Verspannungen lösen. Auch eine Kurzbeschreibung der weiteren Strecke, konkrete Absprachen zur nächsten Pause und beispielsweise ein paar Schokolinsen für alle stärken das Wir-Gefühl erheblich.
Jedem Mitfahrer wird schon im eigenen Interesse einleuchten, dass einem verantwortungsvollen Tourguide die Sicherheit und das gute Fahrgefühl aller Mitfahrer ein Anliegen sind. Daraus ergibt sich für den Guide nicht nur die Verpflichtung, sondern auch das informelle Recht, einer deutlichen Mehrheitsmeinung im Bedarfsfall Gehör zu verschaffen und notorische Abweichler „einzufangen“, falls erforderlich auch mit Nachdruck. Bei Bedarf muss man vielleicht auch mehrmals anhalten, um Divergenzen final zu klären. Im Notfall kann die Drohung helfen, sofort wieder zurück zu fahren, da man eine Gruppe mit so unvereinbaren Auffassungen nicht mehr sinnvoll gemeinsam führen kann.
Außerdem sehe ich den Tourguide zwar in einer herausgehobenen Position, für das Gelingen einer Tour sind aber alle (!) Teilnehmer mit verantwortlich. Auch eventuelle Sozia/usse. Zu aufkommenden Konflikten sollte sich daher möglichst jeder in der Gruppe äußern, damit auch die Mehrheitsmeinung deutlich wird. Dadurch kann ein abschließendes Urteil des Tourguides möglichst viele Aspekte zueinander abwägen, und wird dann in der Regel auch allseits akzeptiert.
Hilfreich bei Großveranstaltungen ist es, wenn (wie bei einem von Spezis Wochenenden mal praktiziert) die verschieden schnellen Gruppen eine zeitlich und örtlich gemeinsame erste Pause anstreben, um Wechselwilligen bei Bedarf einen einfachen Tausch der Gruppe zu ermöglichen.
Aus haftungsrechtlichen Gründen halte ich es übrigens für absolut ratsam, dass am besten schon beim Ausloben entsprechender Treffen oder Ausfahrten, spätestens aber vor Beginn einer Tour mit neuen oder fremden Mitfahrern deutlich und für alle vernehmbar darauf hingewiesen wird, dass die Teilnahme auf eigene Kosten und Gefahr erfolgt, und dass die Organisatoren und Tourguides für ihre freiwillige Dienstleistung keinerlei Gewährleistung übernehmen, keine eventuellen Knöllchen für alle bezahlen oder irgendwelche Schadenersatzansprüche akzeptieren: Jeder ist und bleibt für seine Fahrweise und deren Konsequenzen selbst verantwortlich.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine neuere juristische Auslegung bei Auffahrunfällen innerhalb von dicht zusammen fahrenden Motorradgruppen: Hier wird unterstellt, dass der verkehrsrechtlich gebotene Mindestabstand zum Vorausfahrenden „in gemeinsamer Billigung“ deutlich und dauerhaft unterschritten wird, und dass dadurch bedingte Auffahrunfälle jeglichen Anspruch auf Versicherungsleistungen ausschließen, da sie auch ohne explizite vorherige Vereinbarung, allein durch das gemeinsame Handeln, einen faktischen Vorsatz darstellen.
Natürlich muss die Versicherung den entsprechenden Nachweis erstmal führen. Wenn ich aber sehe, wie unbekümmert manche sich online mit ihrem Fahrverhalten brüsten oder das anderer beschreiben, vielleicht auch noch mit Nennung von Klarnamen, wie lange Gruppenverabredungen mit Kommentaren wie „Wir wollen es auch mal fliegen lassen“ in Foren nachzulesen sind, am besten gleich mit Teilnehmerliste, und wie oft Gruppenfotos mit deutlich erkennbaren Gesichtern, individualisierten Maschinen und sogar Kennzeichen gepostet werden, in der Regel ohne Einverständnis der Betroffenen, dann würde ich mir als Versicherungsanwalt die Hände reiben. Klar bremst eine entsprechend vorsichtige Mediennutzung den Spaß, der wenig wahrscheinliche, aber mögliche Schaden im „Erlebensfall“ wiegt jedoch deutlich mehr.
Gruß, Mike